Untersuchung zur nachhaltigen Nutzung von Sharing-Angeboten als Erweiterung des ÖPNV in Stadtrandlagen und kleinen Kommunen
Im Projekt „NaMikro“ wurde untersucht, wie Sharing-Angebote mit E-Bikes und E-Scootern (geteilte Mikromobilität) am Stadtrand Berlins besser in den öffentlichen Nahverkehr integriert werden können. Dafür dienten drei vom Projektpartner Bolt neu erschlossene Geschäftsbereiche am Stadtrand von Berlin für rund zehn Monate als Untersuchungsräume (Reallabore).
Die Untersuchung und die wissenschaftliche Auswertung wurden von der Stiftungsprofessur für Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen an der TH Wildau durchgeführt. Die Umsetzung im Betrieb übernahm Bolt.
Unterschiedliche Preis- u. Stationsmodelle wurden in den Reallaboren getestet und die Nutzungsdaten analysiert. Zusätzlich wurden quantitative Befragungen der Nutzenden sowie Interviews mit relevanten Stakeholdern durchgeführt. Aus den Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen für Kommunen und Anbieter für den Einsatz von Sharing-Angeboten abgeleitet.
ProjektübersichtBereich öffnenBereich schließen
Projektpartner und Auftraggeber:
Die drei Reallabore wurden in den Berliner Ortsteilen Lichtenrade und Zehlendorf sowie im Stadtgebiet von Erkner (Brandenburg) eingeführt. Die verantwortlichen Projektbezirke und Projektkommunen waren:
Laufzeit der Reallabore:
- Erkner: 19.09.2022 - 31.05.2023
- Lichtenrade: 18.07.2022 - 31.05.2023
- Zehlendorf: 18.07.2022 - 31.05.2023
AusgangsituationBereich öffnenBereich schließen
Verleihsysteme geteilter Mikromobilität haben sich bereits seit einigen Jahren in einer Vielzahl von deutschen Städten etabliert. Dabei fehlt es noch an grundlegenden wissenschaftlichen Studien, welche die Nutzung von geteilter Mikromobilität in Kleinstädten und an Stadträndern untersuchen. Eine der wesentlichen Fragestellungen dabei ist, ob Sharing-Angebote außerhalb von Groß- und Innenstädten als möglicher Zubringer und Ergänzung zum ÖPNV genutzt werden und ob durch Bepreisungsmodelle und dem Stationsdesign die Kombination von Sharing- und ÖPNV-Angeboten (intermodale Mobilität) begünstigt bzw. gesteuert werden kann.
MethodikBereich öffnenBereich schließen
Als grundlegende Einflussfaktoren des Betriebs von Sharing-Angeboten wurden unterschiedliche Preis- u. Stationsmodelle untersucht. Der Erkenntnisgewinn zielte darauf ab, die Kombination von Sharing-System und ÖPNV unter wirtschaftlichen Aspekten so attraktiv wie möglich zu gestalten.
Es wurden u.a. folgende Bepreisungsmodellen getestet:
- Minutenpreise deutlich unter den üblichen Marktpreisen
- Verdopplung des Minutenpreises ab der 13. Leihminute bei marktüblichen Minutenpreisen
- Incentivierungsmodell für einen Umstieg auf die S-Bahn
Es wurden drei unterschiedliche Abgabemodelle erprobt:
- Free-Floating: freie Fahrzeugabgabe, mit Ausnahme von Parkverbotszonen (z. B. Grünflächen)
- Virtuelle Abgabestationen: Abgabe in Stationen (Fläche lediglich in der Handy-App sichtbar)
- Physische Abgabestationen: farblich markierte Abgabeflächen (virtuelle Eingrenzung in der App)
Zusätzlich wurde der Einsatz unterschiedlicher Fahrzeugtypen getestet:
- Einführung von drei Fahrzeugflotten, die sich je zur Hälfte aus E-Bikes und E-Scootern zusammensetzen
Die Untersuchungen wurden ergänzt durch:
- Analysen von Nutzungsdaten aus dem Berliner Kerngebiet
- Umfragen unter den Nutzenden in den Reallaboren
- Durchführung von Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der öffentlichen Hand, der beteiligten Gebietskörperschaften und der Anbieterseite
ErkenntnisseBereich öffnenBereich schließen
Auf Grundlage der durchgeführten Analysen ist die TH Wildau zu folgenden Ergebnissen gekommen:
- E-Scooter werden E-Bikes bei gleichen Bedingungen mit 75 % zu 25 % deutlich bevorzugt.
- Geteilte E-Scooter/E-Bikes ergänzen am Stadtrand und in Kleinstädten den ÖPNV zu Zeiten, in denen das Angebot ausgedünnt oder ganz eingestellt ist (z. B. als Ersatz für den Busverkehr am frühen Morgen bzw. späten Abend, wenn dieser nicht bedient wird). Im Vergleich zur Nutzungsverteilung in Innenstadtbereichen gab es im Zeitraum zwischen ein und sechs Uhr morgens eine deutliche Nutzungsspitze. Zusätzlich gaben 70 bis 90 % der Nutzenden an, die Dienste als Alternative zum Bus zu nutzen, wenn dieser nicht verfügbar (oder unzuverlässig) war.
- Mikromobilität wurde je nach Reallabor von zwischen 44 und 70 % der Nutzenden als Zubringer auf der ersten bzw. letzten Meile zur nächstgelegenen Bahnstation genutzt.
- Insgesamt besteht ein hohes Potenzial, kurze Pkw-Fahrten mit Sharing-Systemen auch in Stadtrandlage zu ersetzen sowie längere Pkw-Fahrten in der intermodalen Kombination von Sharing-System in Verbindung mit dem ÖPNV durchzuführen. Zwischen 60 und 70 % der Nutzenden gaben an, dass sie geteilte E-Scooter/E-Bikes als Alternative zu ihrem privaten Pkw genutzt haben, davon 25 % mindestens einmal pro Woche.
- Virtuelle Abgabestationen sind aus Sicht aller befragten Akteure aufgrund zu großer Ungenauigkeiten der GPS-Technologie unzureichend. Zudem sind die Kund:innen aufgrund fehlender Markierungen verunsichert. Zielführender sind stationsgebundene Systeme mit festen und klar markierten Abstellflächen. Stationsgebundene Systeme führen unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu weniger Nutzung als das traditionelle Free-Floating-System.
- Das Angebot in den Außenbezirken wurde relativ gesehen häufig genutzt. Die Anzahl der Ausleihen pro Nutzendem war an einigen Orten höher als in der Berliner Innenstadt. Aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichten ist ein wirtschaftlich tragfähiger Betrieb ohne finanzielle Unterstützung der Kommunen allerdings nicht immer darstellbar.
- Der Einsatz monetärer Anreize war nicht erfolgreich, um die Menschen dazu zu bringen, E-Scooter/E-Bikes verstärkt in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu nutzen. Insgesamt erwies sich die Preisgestaltung nicht als entscheidender Faktor für die Nutzung in den Außenbezirken.
HandlungsempfehlungenBereich öffnenBereich schließen
Für die Einführung und den Betrieb eines Sharing-Systems in Stadtrandlagen und kleinen Kommunen ergeben sich auf Grundlage der vorherigen Ergebnisse Empfehlungen an Kommunen, Empfehlungen an Sharing-Anbieter sowie übergreifende Empfehlungen, die von Kommunen und Anbietern im Verbund umgesetzt werden sollten.
Handlungsempfehlungen an Kommunen:
-
Kommunikation als flankierende Maßnahme nutzen
-
Integration von Mikromobilität in die kommunale verkehrspolitische Strategie
-
Eigene Expertise aufbauen: Dokumentation für interne und externe Akteure führen
-
Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb schaffen
-
Mobilitätsdashboards nutzen
Handlungsempfehlungen an Sharing-Anbieter:
- Variationen des Minutenpreises und Incentives zum Start des Angebots nutzen
-
Kombinierte Fahrzeugflotte aus E-Scootern und E-Bikes einführen
-
Gewährleistung des kombinierten Verkehrs zwischen Mikromobilität und ÖPNV
Übergreifende Handlungsempfehlungen:
- Vereinbarung zur Gestaltung der Fahrzeugflotte treffen
-
Stationsgebundenes Sharing-System einführen sowie eine hohe Stationsdichte sicherstellen
-
Eindeutige Sichtbarkeit der Station gewährleisten
-
Free-Floating-Systeme nur im Rahmen eines hybriden Stationskonzepts einsetzen
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zuletzt geändert am: 09.02.2024