Start-up – eine Chance für junge Migrantinnen und Migranten?
Die HAYDİ-Figur balanciert auf einem Seil über den Dächern der TH Wildau.

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Start-up – eine Chance für junge Migrantinnen und Migranten?

Unter den neu gegründeten Unternehmen in Deutschland sind überdurchschnittlich viele Start-ups, deren Initiatoren, Migrationsgeschichte haben. Manche erlangten richtiggehend Berühmtheit, wie die Gründer von Biontek, Özlem Türeci und Uğur Şahin. Besonders in Berlin und im Ruhrgebiet, also in Städten mit einem hohen Anteil von eingewanderten Bewohnern, haben viele den Mut sich selbstständig zu machen. Dies ist nicht nur heute so, sondern es beschreibt einen schon seit Jahren anhaltenden Trend.

 

Job oder Selbstständigkeit?

Özlem Yildiz, Professorin für Marketing an der Hochschule für Mode, hat ihre Doktorarbeit über die Gründungen und den Bestand von Frisörbetrieben in den 90er Jahren geschrieben (siehe auch: „Migrantisch, weiblich, prekär?: Über prekäre Selbständigkeiten in der Berliner Friseurbranche“ ). Sie sagt, dass die überdurchschnittliche Anzahl an Gründungen aus mirgantischen Milieus nicht unbedingt auf „freien“ Entscheidungen beruhe. Vielmehr seien Personen, mit einem zum Beispiel muslimisch klingenden Namen bei Bewerbungen immer noch deutlich benachteiligt. Zwischen den Gründungsaktivitäten und den jeweiligen Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestehe immer eine Wechselbeziehung. So seien viele der Frisörbetriebe, die sie in ihrer Doktorarbeit untersuchte, zu einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit entstanden und bei den Gründungen hätten auch aufenthaltsrechtliche Erwägungen eine Rolle gespielt. Die öffentliche Förderung der Selbstständigkeit im Angesicht hoher Arbeitslosenzahlen hätte zu einer Flut von Gründungen geführt, aber leider auch in einem wirtschaftlich eher ungünstigen Umfeld (viel Konkurrenz mit einer Dienstleistung, die zwar nachgefragt, aber im Falle von ökonomischen Engpässen auch eingespart werden kann).

 

Erfolgreich gründen

Das war damals, heute wäre – hätten wir nicht die Corana-Epidemie –  die Lage in Berlin entspannter. Doch während der Pandemie zeigt sich: Es sind wieder Menschen mit Migrationsgeschichte, die durch die Einschränkungen besonders betroffen sind. Wieder sind sie es, die vermehrt in Kurzarbeit sind und ihre Arbeitsplätze verlieren. (siehe auch: tagesschau 13.05.2021).

Eine Unternehmensgründung aus Mangel an beruflichen Alternativen kann funktionieren. Der Anlass der Unternehmensgründung sagt nicht unbedingt etwas über die Erfolgschancen des Unternehmens aus. Wichtig ist aber das wohlüberlegte Vorgehen vor und während der Gründung. Und hier spielen die Kompetenzen der Gründerinnen und Gründer eine erhebliche Rolle. Tatsächlich bringen Menschen mit Migrationsgeschichte oft besondere Qualitäten mit. Maria Amelie von der Preschool hat ein Start-up gegründet, das in ganz Europa, Gründungen von Migrantinnen und Migranten fördert. Sie erzählt, sie sei als Kind bosnischer Einwanderer in Norwegen, durch ihre Sozialisation unfreiwillig für die Rolle der Unternehmerin vorbereitet worden. Sie hätte sich immer wieder neu orientieren müssen, immer wieder soziale und kulturelle Hürden überwinden müssen, hätte so gelernt nicht schnell aufzugeben und eigenständig Lösungen für Probleme zu finden.

Der Zugang zu verschiedenen Kulturen und Sprachen kann in einer sich globalisierenden Welt ein großer Vorteil sein. Ein Beispiel hierfür ist Kagan Sümer. Er hat zunächst in Berlin und Hamburg, dann aber auch in vielen europäischen Städten einen Lebensmittel-Lieferservice gegründet: „Die Gorillas“ – ein schnell wachsendes, erfolgreiches Unternehmen. Im Interview mit OMR-Podcast erzählt er, dass ihm die hochentwickelte Servicekultur in der Türkei als Hintergrundfolie für sein eigenes Unternehmen galt. Er beschreibt, wie unkompliziert und zuvorkommend Service in der Türkei ablaufe. Etwas, das er in den nordeuropäischen Ländern so nicht erlebt habe und etwas sei, das er gerne „importieren“ würde. Auch seine Gründung war eher spontan – die Idee kam beim Heimtragen von Einkäufen – aber Kagan Sümer hatte eine gute Ausbildung. Er hatte in der Türkei studiert und war fünf Jahre lang als Berater tätig. Er sagt zu seiner Lebensplanung: „Either be an entrepreneur or do something that bring you up to entrepreneurship.” (Entweder bist du ein Unternehmer oder du tust etwas, das dich in die Position versetzt Unternehmer zu werden) Er wusste, wie man erfolgreich ein Unternehmen gründet. Er wusste, dass man dafür Kapital benötigt und was man vorlegen muss, um solches zu erhalten.

Eine erfolgreiche Gründung ist immer auch vom Umfeld abhängig. Maria Amelie von der Preschool hat, so war der Beginn ihres Unternehmens, die unterschiedlichen Chancen von Start-ups in verschiedenen europäischen Städten verglichen und hat Faktoren herausgearbeitet, die die Startposition von Gründerinnen und Gründern verbessen. Dort wo Gründungen gezielt und kultursensibel gefördert werden, gibt es eine größere Zahl an Start-ups und sie sind dann tendenziell auch erfolgreicher.

 

Studium versus Start-up

Als nachteilig, vor allem für die Einwanderer*innen der ersten Generation, haben sich oft fehlende Rollenmodelle, wenig Kenntnis der lokalen wirtschaftlichen und gesetzlichen Voraussetzungen, Unerfahrenheit im Umgang mit der landesüblichen Bürokratie, ein falsches Geschäftsmodell und fehlende Netzwerke ausgewirkt. Dafür schaffen migrantische Unternehmer*innen überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze, sie gründen auch häufiger in Kooperation mit anderen und sind in der eigenen Community sehr gut vernetzt (siehe auch MINA

Potenzialanalyse von Migrant/innen zur Lösung der Nachfolgerlücke im deutschen Mittelstand, S.86). Eigentlich schade, dass sie oft wenig Zugang zu staatlichen Fördermaßnahmen bekommen (siehe auch: Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg (BPW)).

 

Für die Töchter und Söhne dieser ersten Generation stellt sich nun häufig die Frage, ob sie den elterlichen Betrieb übernehmen wollen und wie sie ihn gegebenenfalls weiterentwickeln können. Melissa, die Tochter von selbstständigen Eltern, winkt ab, sie ziehe auf alle Fälle Lernen, Studium und einen guten Berufsabschluss einem vorschnellen Einstieg in den elterlichen Betrieb vor. Selbst ihr Vater, der sein Unternehmen seit vielen Jahren führt, rät seinen Kindern einen anderen Weg einzuschlagen, ein Leben, das zwar immer intensiv und aufregend ist, aber auch gekennzeichnet von immerwährender Einsatzbereitschaft, immensen Arbeitszeiten und Phasen ökonomischer Unsicherheit wünscht er seinen Kindern nicht. Melissa findet es bedenklich, wenn gleichaltrige Freundinnen und Freude sozusagen im elterlichen Betrieb unterschlüpfen und ihre dafür Bildung vernachlässigen.

Umgekehrt gibt aber Özlem Yildiz zu bedenken, dass auch ein wirtschaftswissenschaftliches Studium nicht automatisch zur Unternehmensgründung befähige, viel wichtiger sei ein „entrepreneurial mindset“, so etwas wie eine Unternehmer-Persönlichkeit und damit sei keinesfalls eine immer starke Person gemeint, die alles alleine schafft, sondern vielmehr eine Person, die fähig ist sich zu entlasten, geschickt Kooperationspartner*innen findet und Netzwerke bilden kann. Auch die Unterstützung der Familie sei enorm wichtig.

Viele Hochschulen haben sich in dieser Hinsicht entwickelt. Sie bieten willigen Gründerinnen und Gründern schon während des Studiums (siehe auch: Gründungsservice TH-Wildau

- www.th-wildau.de/forschung-transfer/zentrum-fuer-forschung-und-transfer/gruendungsservice/) Vorbereitungskurse für die zukünftige Selbstständigkeit und hier geht nicht nur um Businesspläne, Geschäfts- und Finanzierungsmodelle und Marketing, sondern auch um sogenannte Softskills wie Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten, problemlösendes Denken, Zeitmanagement und nicht zuletzt auch um Entspannungstechniken.

Pflanze in verschiednen Wachstumsstadien
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