Kulturelle Differenzen
Kulturelle Differenzen
Große Aufmerksamkeit wird in der heutigen Gesellschaft der Befindlichkeit von türkischstämmigen MigrantInnen im Rahmen von wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen und auch in den Medien geschenkt. Diverse Studien zeigen auf, dass an erster Stelle Gehorsam und Respekt bei den türkischen Familien liegen, was dazu führen soll, dass die familiären Bindungen gefestigt werden, jedoch wird das Verständnis dieser Werte innerhalb dieser Familien in verschiedener Weise interpretiert. Bei den türkischstämmigen Personen bedeutet Respekt, dass man nichts gegen die Eltern sagen darf, vor allem nicht gegen Väter, „inwiefern ist es da möglich, über wichtige Themen zu diskutieren bzw. die Meinung frei auszusprechen, wenn der Vater nicht mal der Meinung ist“, lautet die Aussage einer betroffenen Person in einem Zeitungsbericht (vgl. DIE PRESSE, 2017). Dieser Artikel, der am 25.2.2012 veröffentlich wurde, beschreibt, dass die türkischen Familien ihren Nachwuchs viel emotionaler erziehen würden als österreichische Familien im Vergleich; demnach würden österreichische Familien ihren Kindern mehr erlauben als türkische, was eine junge türkische Mutter namens Tuba el Kashef gegenüber der PRESSE in einem Interview äußert. Sie ist der Meinung, sie sei zwar nicht religiös, aber dafür traditionsbewusst, und demnach werde ihre Erziehung von dieser Haltung beeinflusst. Türkischstämmige Familien praktizieren, wie dem Artikel weiter entnommen werden kann, bestimmte Erziehungsstile, die eher kulturell und traditionell geprägt sind, was sich u.a. darin äußert, dass etwa Selbstständigkeit bei den Jugendlichen weniger gelehrt wird, im Gegensatz zu den einheimischen Familien, wie auch in den weiteren Ausführungen im Rahmen dieser Untersuchung aufgegriffen wird.
Die Erziehung innerhalb der betroffenen Familien unterscheidet sich aufgrund verschiedener Faktoren von der Erziehung hierzulande; ein Faktor ist der Migrationshintergrund oder die Kultur, die damit verbunden ist. Migration ist in vielen Fällen ein Familienprojekt, das sich über mehrere Generationen hinweg erstreckt. Die Kinder der türkischstämmigen Familien mit Migrationshintergrund stehen im Prozess der Akkulturation meistens zwischen zwei Kulturen: der Herkunftskultur ihrer Eltern und der Mehrheitskultur des Aufnahmelandes (vgl. Fuhrer, Mayer, 2005). Konflikte zwischen den Generationen können häufig dadurch entstehen, dass die erfahrenen Einflüsse innerhalb der Familie in wesentlichen lebenswichtigen Bereichen im Widerspruch zu den außerfamiliären Einflüssen stehen. Weiters steht in enger Verbindung mit der familiären Situation die Entwicklung der Identität – hierbei kann es zu Problemen kommen. Aufgrund von unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten können Sozialisationswidersprüche und daher auch Hürden bei der Entwicklung der Identität entstehen. Diese Situation, in der sich die Jugendlichen weder der Herkunfts- noch der Aufnahmekultur zugehörig fühlen, wird mit dem „ Marginal-man “-Konzept von Stonequist (1937) näher erläutert. In der Forschungsliteratur (Hämmig, 2000) wird argumentiert, dass häufig auftretenden Spannungsverhältnissen zwischen den in der Familie lebendigen Normen des Herkunftslandes und der modernen Kultur des Aufnahmelandes die Folge sind, aufgrund des vorherrschenden Traditionalismus in den zugewanderten Familien und der damit verbundenen Wertevermittlungen, wie dies bspw. in der Aufrechterhaltung der Autoritätsverhältnisse oder der geschlechtsspezifischen Erziehung zum Ausdruck gelangt. Die Jugendlichen müssen diesen widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen gerecht werden und geraten somit in das für sie charakteristische „Loyalitätsdilemma“: Familie und Verwandtschaft stehen auf der einen Seite, Peers und soziale Kontakte auf der anderen. Die Erziehungsstile der Eltern unterscheiden sich in vielen Punkten und unterliegen einer bestimmten Vorstellung davon, wie eine „perfekte“ Erziehung sein sollte, um das Kind auf einen guten Weg zu leiten.
Dem Begriff der Kultur werden mehrere Definitionen zugeordnet; dies erschwert somit das Verständnis der eigentlichen Problematik. In der Literatur wird gesagt, dass die Kultur als etwas „Starres“ angesehen wird, sodass auch die neueren Thesen keine weiterführenden Einsichten darin bieten. Der Begriff „Marginalität“ wird in der Literatur (Hämmig, 2000; Gapp, 2003) ebenfalls häufig verwendet und auf eine niedrige Statusposition bezogen. Der Jugendliche der zweiten Generation, der zugewandert ist, lebt an einer Grenze beider Kulturen, zu denen er sich nicht zugehörig fühlt. In der Forschungsliteratur wird mehreren Fragen nachgegangen, da diese Thematik mit weiteren relevanten Fragestellungen in Relation steht; etwa damit, ob die Jugendlichen der zweiten Generation mehr Konflikte und Probleme haben als Jugendliche ohne Migrationshintergrund oder welche Rolle Leistungserwartungen seitens der Eltern spielen. Ebenso werden weitere Fragen behandelt, die eng mit jener nach der Identitätsentwicklung von Jugendlichen aus türkischstämmigen Migrantenfamilien verknüpft sind. Obwohl Menschen mit türkischstämmigem Hintergrund in der österreichischen Gesellschaft leben, bewegt sich ihr Leben eher in anderen Bahnen. Jugendliche türkischer Herkunft entfernen sich immer mehr von der österreichischen Gesellschaft. Für manche Einheimische droht die Gefahr der Bildung einer eigenen „Parallelgesellschaft, die mit der ‚inländischen‘ in einem Konflikt stehen könnte. (vgl. Heitmeyer, 1997).